Cover
Titel
Jeanne d'Arc. Seherin, Kriegerin, Heilige. Eine Biographie


Autor(en)
Krumeich, Gerd
Erschienen
München 2021: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jessica Vollstädt, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Kein Ende nehmen die Vermutungen und Vereinnahmungen Jeanne d’Arcs, die sich 1429 im vom Krieg entzweiten Frankreich mit nur 17 Jahren an die Spitze des französischen Heeres stellte, um gegen die Engländer zu kämpfen, und letztlich als englische Gefangene der Inquisition überstellt wurde. Diese bezichtigte sie der Hexerei und Ketzerei, da Jeanne behauptete, sie habe auf Gottes Befehl hin gehandelt. Ihr Ende fand sie – exkommuniziert – am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen. 1456 wurde der Prozess neu aufgerollt und das Urteil revidiert. 1920 wurde sie kanonisiert. -Gerd Krumeich, emeritierter Professor für Neuere Geschichte, hat mit seiner Biographie über Jeanne d’Arc ein Terrain betreten, das kaum hitziger diskutiert sein könnte. Seine neue Biographie ist die Erweiterung und Aufstockung der kürzeren Jeanne-Biographie von 20061. Krumeich nähert sich damit erneut, doch mit mehr Tiefe und Ausführlichkeit der Gestalt Jeannes. Bereits seine Habilitationsschrift von 1989 hatte Jeanne d’Arc zum Thema, allerdings deren Kult2. Nun versucht er, sich dem Jeanne-Bild der zeitgenössischen Überlieferung anzunähern.

Die Biographie ist chronologisch aufgebaut, beschreibt den Weg Jeannes vom Dorfmädchen hin zur Kriegerin, durch welche die Belagerung der Stadt Orléans aufgehoben wurde, den Krönungsfeldzug, der in der Salbung des französischen Königs gipfelte, dessen politisch gemäßigtere Haltung sich danach mit Jeannes Kriegseifer nicht mehr in Einklang bringen ließ. Weiter reicht die Schilderung von Jeannes ersten Misserfolgen bei erneuten militärischen Unternehmungen, was zu ihrer Gefangennahme und Verkauf an die Engländer führte. Den Schluss bildet ihre Rezeption bis ins 21. Jahrhundert, wenngleich neuere Verfilmungen leider nicht mehr genannt werden. Reichhaltige Anmerkungen sind im Anhang zu finden, was der Leserfreundlichkeit geschuldet ist, denn Krumeich wendet sich maßgeblich an alle, die an einer „quellenfundierte[n] Darstellung“ interessiert sind, „ohne aber an der Fachdiskussion teilzunehmen“ (S. 14). Fachkundigen zu Jeanne ist aber genau dies anhand der Anmerkungen im Anhang ermöglicht. Auch präsentiert Krumeich neue Lösungsvorschläge (so Jeannes „Sprung“ vom Turm von Beaurevoir), weshalb es verfehlt wäre, von einer rein populärwissenschaftlichen Biographie zu sprechen.

Dass die Kriegsherrin, die chevetaine (nach Christine de Pisan), bei Krumeich im Vordergrund steht, bekundet bereits das Cover, das Jeanne beim Einzug in Orléans zeigt, ein Ausschnitt des Gemäldes von Jean-Jacques Scherrer von 1887. Jeanne ist für Krumeich die „geborene Strategin“ (S. 125). Ihr „Mut zu individueller Entscheidung unter dem Druck verbindlicher Weltanschauungen“ (S. 10), gepaart mit einer großen „Natürlichkeit und Menschlichkeit, Stolz und Selbstbewusstsein, aber auch unbedingte mystische Hingabe, machen das Faszinosum der Jungfrau aus“ (S. 45), die sich von Gott gesandt wähnte. Die Frage, welcher Art Jeannes vermeintlich göttliche „Stimmen“ waren, ist für Krumeich nicht diskussionsbedürftig, denn diese Frage entziehe sich „für immer historischer Kritik und spielt auch für ihre Motivationskraft keine Rolle“ (S. 43). Die Bedeutung dieser Stimmen für Jeanne selbst, die zweifellos Stimmen gehört habe, ob nun eingebildet oder nicht, hat er jedoch in einer bestechenden Prägnanz erfasst: „Jeannes Stimmen trugen die gesamte Persönlichkeit und jede einzelne ihrer Handlungen“ (S. 43).

Krumeich beabsichtigt, Jeanne zu „entmythisieren“ (S. 11), sie aus dem geballten subjektiv-emotional und politisch aufgeladenen Konglomerat „so weit wie irgend möglich von den beliebigen Vermutungen und Hypothesen, die sie nach wie vor umgeben, zu befreien“ (S. 11), weshalb vor allem zeitgenössische Dokumente zur Sprache kommen – Chroniken, Briefe, Tagebücher, Prozessprotokolle –, deren Provenienz und Tendenziösität Berücksichtigung finden. Denn dem Historiker müsse es in erster Linie darauf ankommen, „die untersuchte Persönlichkeit aus dem Horizont ihrer Zeit heraus zu verstehen“ (S. 8). Wo diese Quellen nicht mehr ausreichen, um das Leben Jeannes zu skizzieren, erlaubt sich Krumeich, „so wenig wie möglich Vermutungen anzustellen, und wenn, nur dort, wo die Quellen nicht genug sprechen, aber der einfache Verstand uns weiterhelfen mag“ (S. 13). Dies ist eindeutig das Novum dieser Biographie, die nicht – von einem eigenen Standpunkt ausgehend – die Quellen steinbruchartig aussucht, um das gewünschte Jeanne-Bild zu konstruieren (ein genuines Problem der Jeanne-Forschung).

Als Leser fühlt man sich des Problems enthoben, präzise wissen zu müssen, wie es nun tatsächlich gewesen ist. Es eröffnet sich ein Kaleidoskop an Meinungen und Eindrücken, die das Bild Jeannes, je nach Drehung, verändern, unterschiedliche Facetten ins Licht rücken und sie dadurch lebendig werden lassen. Auch die Jeanne eher kritisch gesinnten Quellen dürfen mit Recht zu Wort kommen, so das Tagebuch eines Bürgers aus Paris, der den Angriff Jeannes auf diese Stadt miterlebt hat, oder auch die im Revisionsprozess eher verhaltene Zeugenaussage eines Jean Beaupère, der den Verurteilungsprozess Jeannes mitbegleitet hat und bis zuletzt nicht überzeugt war, dass die Stimmen Jeannes „wirklich übernatürlicher Herkunft“ (S. 288) gewesen sein sollen.

Die Frage, wie die beiden – politisch motivierten – kirchlichen Prozesse einzuordnen sind, bleibt ein Problem; „ein abgewogenes Urteil ist in diesem Fall besonders schwierig, aber nicht unmöglich“ (S. 228). Zugleich offenbart Krumeich hinsichtlich der Zeugenaussagen des Revisionsprozesses eine Neigung, eher den Zeugen zu glauben, „wenn sie die Spontaneität, Ungebundenheit, Entschiedenheit der Jungfrau betonen, die ja im Verhör von 1431 auch ständig aufblitzen“ (S. 281), im Gegensatz zu Aussagen, die Jeanne als eher untergeordnet gesinnt schildern. Dieser persönliche Eindruck irritiert kurz den Eindruck dieses ansonsten sehr wissenschaftlichen Diskurses und bleibt erklärungsbedürftig. Für beide Prozesse gilt, dass kaum eine „engere Verbindung von politischer Absicht und theologischer Überzeugung vorstellbar“ ist (S. 239). Doch wenn selbst bei den unter Eid geleisteten Zeugenaussagen – hier kamen engste Freunde und Kampfgefährten zu Wort – laut Krumeich kein Grund besteht, „sie in allem wörtlich zu nehmen“ (S. 45), wird die Zuverlässigkeit beider Prozesse zur Gretchenfrage, wenn überdies hinaus Jeanne selbst es mit der Wahrheit auch nicht so genau nahm, wie Krumeich vermutet. Diese widersprüchlichen Tendenzen zufriedenstellend zu lösen ist und bleibt immer noch eine Herausforderung für zukünftige Veröffentlichungen.

Randständige Problemfelder umgeht Krumeich gekonnt, ohne dass Lücken erkennbar wären, indem er sie in der ohnehin reichhaltigen Biographie unerwähnt lässt, so beispielsweise die unterschiedlichen Gruppierungen um den König Charles VII. Die politische Szenerie, sowohl auf englischer als auch auf französischer Seite wird nicht eingehender erläutert, als es für das Verstehen Jeannes erforderlich ist. Auch so irisierende Personen in Jeannes Umfeld wie beispielsweise La Hire treten inhaltlich zurück, was wohl der Konzentration auf Jeanne geschuldet ist, wenngleich deren Beziehung zu- und untereinander höchst substanziell für das Verständnis ihrer Person ist. Etwas mehr über Jeannes engsten Kreis zu erfahren, wäre trotz der damit einhergehenden Abstriche bezüglich der Lesbar- und Verständlichkeit jedoch meines Erachtens sehr gewinnbringend gewesen im Hinblick auf die Einflüsse, denen sie sich in ihrer kurzen Zeit in der Öffentlichkeit gegenübersah und die auch zur Widersprüchlichkeit ihrer Person beitragen.

Obwohl seit Jahren ausgewiesener Kenner und passionierter Johannist, präsentiert Krumeich eine Biographie, durch die der Leser zu verstehen beginnt, dass das Bild Jeannes abhängig ist von den tendenziösen Quellen, denn für die Zeit des Spätmittelalters ist ihr Leben ungewöhnlich gut dokumentiert. Äußerst gewinnbringend und inspirierend für weitere Diskussionen um Jeanne ist die sehr differenzierte Sicht auf die genannten Beteiligten in diesem kriegerisch-politisch-kirchlichen Umfeld. Man sucht vergeblich das schwarze Schaf, das an Jeannes Tod Schuld haben soll. Das Verstehen beginnt und endet nicht bei Jeanne, sondern bezieht ihre Freunde und Gegner mit ein. So wird deutlich, dass auch ihre anmaßende Art und Hochmut kein milderndes Urteil begünstigten, aller Schlagfertigkeit zum Trotz.

Jeanne ist virtuos in den Kontext ihres kurzen öffentlichen Auftretens eingebettet. Der Vergleich der Quellen selbst lässt Mythen keinen Raum, vielmehr zeigt Krumeich die Verschränkung von unterschiedlichen Interessen persönlicher, politischer, aber auch institutioneller Art seitens der Kirche, Kriegsleute und des Adels auf. Krumeich dekuvriert Jeanne als Kind ihrer Zeit, in welcher der Proto-Nationalismus und eine franziskanisch vermittelte Ich-Spiritualität auch Jeanne beeinflusst haben; Krumeich skizziert sie weder als ein kometengleiches noch als ein heiliges Wesen, er präsentiert sie vielmehr als ein Spiegelbild ihrer Zeit, aber einzigartig durch ihre Taten. Das letzte Wort zu Jeanne d’Arc ist nicht gesprochen und wird es auch niemals sein, „denn es gibt keine andere historisch belegte Frauengestalt, die noch rund 600 Jahre nach ihrem Tod im kulturellen Gedächtnis der Menschheit so lebendig geblieben ist“ (S. 319).

Anmerkungen:
1 Gerd Krumeich, Jeanne d’Arc. Die Geschichte der Jungfrau von Orleans, Beck'sche Reihe Band 2396, 2., durchgesehene Auflage, München 2012 (1. Auflage 2006).
2 Ders., Jeanne d’Arc in der Geschichte. Historiographie – Politik – Kultur, Beihefte der Francia Band 19, Sigmaringen 1989.

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